UWG § 1 ; BGB § 826
Zur Frage des
Wettbewerbsverstoßes durch fotomechanischen Nachdruck gemeinfreier Werke der
Literatur, insbesondere vergriffener Werke.
BGH, Urteil vom 30.10.1968 - I ZR 52/66 (KG)
("Reprint")
Die Kl. ist ein
Fachverlag, in dem wissenschaftliche Werke erscheinen. Sie hat die Verlagsrechte
des Karl J. Trübner Verlags übernommen, zu dessen Verlagsobjekten das von 1880
bis 1902 erschienene Werk "Grundriß der romanischen Philologie" gehörte.
Dieses
Werk ist von dem 1911 verstorbenen Romanisten Gustav Gröber herausgegeben und
unstreitig Anfang 1962 gemeinfrei geworden; es besteht aus
zwei Bänden, deren zweiter sich aus drei ihrerseits in Abschnitte
aufgegliederten, getrennt gebundenen Teilbänden - Abteilungen - zusammensetzt.
Der dritte
Abschnitt der ersten Abteilung enthält die von Gröber verfaßte "Übersicht
über die lateinische Litteratur von der Mitte des VI. Jahrhunderts bis zur
Mitte des XIV. Jahrhunderts". Dieser Band ("Übersicht") ist seit
längerem vergriffen. Der Satzspiegel für ihn existiert nicht mehr.
In
den Jahren 1904 bis 1906 erschien eine vermehrte und verbesserte Auflage des
ersten Bandes; 1914 kam der erste Band der sog. "Neuen Folge" des
Grundrisses heraus, dem in den Jahren 1933, 1937 und 1938 je ein weiterer neu
bearbeiteter Band folgten. Die Neue Folge unterscheidet sich in Format, Anlage
und Bearbeitern von der ersten Auflage des Werkes. Sie ist nicht vollständig;
unter anderem ist die "Übersicht" - wie die Kl. vorträgt: bisher -
nicht in der Neuen Folge erschienen.
Die
Bekl., die ebenfalls wissenschaftliche Werke verlegt, teilte der Kl. mit
Schreiben vom 8. März 1962 mit, sie beabsichtige, einen Nachdruck der Gröberschen
"Übersicht" herauszubringen, und fragte an, ob sie mit der
Genehmigung der Kl. rechnen könne. Die Kl. erwiderte mit Schreiben vom 22. März
1962, das die Bekl. nicht erhalten haben will, sie könne die Abdruckerlaubnis
nicht erteilen, da sie selbst einen Nachdruck des Grundrisses vorbereite.
In
der Folgezeit stellte die Bekl. nach einem der wenigen noch greifbaren Exemplare
der "Übersicht" einen fotomechanischen Nachdruck in einer Auflage von
600 Exemplaren her, von denen etwa 300 vertrieben sind.
Hiergegen
wendet die Kl. sich mit der vorliegenden Klage, mit der sie beantragt hat,
I.
die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen,
1.
das Werk von Gröber "Übersicht über die lateinische Litteratur von der
Mitte des VI. Jahrhunderts bis zur Mitte des XIV. Jahrhunderts"
fotomechanisch zu vervielfältigen;
2.
fotomechanische VervielfäItigungen des genannten Werkes anzubieten oder zu
verkaufen;
II.
die Bekl. zu verurteilen, ihre Lagerbestände an fotomechanischen Vervielfältigungen
des genannten Werkes sowie alle zur fotomechanischen Vervielfältigung dieses
Werkes ausschließlich bestimmten Vorrichtungen zwecks Vernichtung an den
Gerichtsvollzieher herauszugeben;
III.
festzustellen, daß die Bekl. verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen,
der ihr durch die Handlungen der Bekl. gemäß Ziff. I bereits entstanden ist
oder noch entstehen wird;
IV.
die Bekl. zu verurteilen, ihr über Handlungen gemäß Ziff. I 1 und 2 Rechnung
zu legen.
Die
Kl. hat behauptet, es sei ein Teil ihrer langjährigen Verlagsplanung, den
gesamten Grundriß einschließlich der "Übersicht" innerhalb der
Neuen Folge neu bearbeitet und verbessert herauszugeben. Die Vorbereitungen
hierfür seien auch hinsichtlich der Übersicht getroffen; sie dauerten naturgemäß
lange und seien durch die Kriegsverhältnisse unterbrochen gewesen. Sehr
wesentliche Teile des G rundrisses seien bereits neu herausgekommen; deshalb
habe es nahegelegen, daß auch die wenigen übrigen Teile, darunter die Übersicht,
demnächst zumindest als zweite unveränderte Auflage oder als Nachdruck bei ihr
erscheinen würden. Der von der Bekl. veranstaltete Nachdruck störe diese Pläne,
wenn er sie nicht sogar unmöglich mache. Die Bekl. habe damit gegen § 1 UWG
verstoßen, indem sie sich ein fremdes Leistungsergebnis unmittelbar angeeignet
habe.
Die
Bekl. hat geltend gemacht, ihre Anfrage bei der Kl. habe nur darauf beruht, daß
ihr Geschäftsführer nicht gewußt habe, daß das Gröbersche Werk bereits
gemeinfrei geworden war. Die Kl. habe die streitige Übersicht seit Jahrzehnten
nicht mehr verkauft, stehe deshalb insoweit nicht mehr in Wettbewerb mit anderen
Verlagen. Ihre Verlagsplanungen bezüglich des Werkes seien der Fachwelt
unbekannt gewesen.
Das
LG hat der Klage stattgegeben, das BerG hat sie auf die Berufung der Bekl.
abgewiesen.
Die
Revision der Kl. wurde zurückgewiesen.
Das BerG
verneint Ansprüche der Kl. auf Grund der §§ 1 UWG, 826 BGB, die nach der
zutreffenden und nicht angefochtenen Auffassung des BerG hier allein in Betracht
kommen, weil das Werk gemeinfrei ist und dem Satz der von 1880 bis 1902
erschienenen Übersicht als solchem keine urheberrechtsfähige Gestaltung
zugrunde liegt. Die Parteien sind zutreffend auch darüber einig, daß es der
Bekl. nicht verwehrt wäre, das Werk Gröbers als solches unter Anwendung des
herkömmlichen Setzverfahrens nachzudrucken, und zwar auch unter unveränderter
Benutzung des Druckes, in welchem es in dem von der Kl. übernommenen Verlag
erschienen war. Der Streit geht nur darum, ob es den Anschauungen der billig und
gerecht Denkenden widerspricht, wenn die Bekl. dies in Gestalt des
fotomechanischen Nachdrucks tut, oder wenigstens, wenn sie dabei keine Rücksicht
auf die Vertragsplanungen der Kl. nimmt.
Das
BerG steht auf dem Standpunkt, auch der fotomechanische Nachdruck gemeinfreier
Werke der Literatur sei grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig. Die
gegenteilige Auffassung würde dem früheren Inhaber der Verlagsrechte ein
praktisches Monopol bezüglich des gemeinfreien Werkes verschaffen, denn da der
unveränderte Nachdruck auf fotomechanischem Wege bedeutend billiger als der
Neusatz im herkömmlichen Setzverfahren sei, werde sich kein Verleger
bereitfinden, ein in einem anderen Verlag erschienenes gemeinfrei gewordenes
Werk auf andere als fotomechanische Weise neu drucken zu lassen; der ursprüngliche
Verleger, der jederzeit einen fotomechanischen Nachdruck veranstalten könne, würde
ihm dann im Wettbewerb derart überlegen sein, daß es dessen Belieben überlassen
bliebe, ob ein gemeinfreies Werk der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht
werde oder nicht.
Das aber stehe in Widerspruch zu dem
Grundsatz der zeitlichen Begrenzung des Urheberrechts an dem literarischen Werk.
Ein solches Ergebnis sei untragbar, da der Verleger damit bessergestellt würde
als der Urheber, obwohl dieser die Allgemeinheit um das geistige Werk, der
Verleger nur um die technische Leistung der Herstellung des Satzes und des
Druckes bereichert habe. Es komme danach nicht darauf an, ob das Werk vergriffen
sei.
Hilfsweise
führt das BerG aus, die Übersicht von Gröber sei aber auch längst vergriffen
gewesen, und diese Tatsache unterstütze die Annahme, daß die Bekl. nicht
wettbewerbswidrig gehandelt habe. Insoweit liege der Sachverhalt anders als in
den vom BGH entschiedenen Fällen, in denen die unmittelbare Übernahme eines
fremden Leistungsergebnisses als Wettbewerbsverstoß erachtet worden sei (BGHZ
28, 387, 396 - Nelkenstecklinge 1; BGHZ 33, 20 -
Opernaufführungen 2; BGHZ 37, 1, 18 - AKI 3; BGHZ 39, 352, 356 - Kabarettvorstellungen 4 ). Die von der Rechtsvorgängerin der Kl. erbrachte
Leistung - die Herstellung des Druckes - sei nicht mehr aktuell gewesen; die vor
über 60 Jahren hergestellten Druckstöcke existierten nicht mehr, so daß die
Kl. sie nicht mehr nochmals verwenden könne. Auch ziehe die Kl. aus der
vergriffenen Übersicht seit langem keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr; die
damalige Leistung sei längst amortisiert oder müßte es wenigstens sein, und
es erscheine ausgeschlossen, daß bei der Planung der Kalkulation in den Jahren
vor 1902 ein Vertrieb des Werkes in der damaligen Form bis in die zweite Hälfte
des 20. Jahrhunderts hinein einkalkuliert worden sei.
Ergänzend
führt das BerG noch aus, es komme nicht darauf an, ob die Kl. jetzt noch plane,
die Übersicht fotomechanisch nachzudrucken; im übrigen habe sie eine solche
Absicht auch nicht dargetan.
II.
Die Revision der Kl. entnimmt der angeführten Rechtsprechung des BGH und
insbesondere dessen weiterer Entscheidung BGHZ 44, 288 = GRUR 1966, 503
Apfelmadonna - einen ausnahmslos gültigen Grundsatz, der für alle Branchen und
alle Formen der unmittelbaren Ausnutzung fremder Arbeitsergebnisse zu gelten
habe. Danach sei die unmittelbare Ausnutzung eines fremden Arbeitsergebnisses,
die ohne Erbringung einer eigenen Leistung geschehe, schlechthin
wettbewerbswidrig. Für den hier fraglichen fotomechanischen Nachdruck fremder
Verlagserzeugnisse sei das auch die Ansicht des Schrifttums. Die vom BerG aus
dem Gesichtspunkt des Vergleichs mit dem zeitlich begrenzten Schutz des
Urheberrechts hergeleitete Ausnahme für gemeinfreie Werke der Literatur sei
nicht zu rechtfertigen. So wäre z. B. der Fall "Figaros Hochzeit"
(GRUR 1960, 614 ) nicht anders zu entscheiden gewesen, wenn statt der nie geschützt
gewesenen Mozartoper eine eben erst gemeinfrei gewordene Oper von Verdi aufgeführt
worden wäre. Auch der Gesichtspunkt billigerer Herstellung könne den
fotomechanischen Nachd ruck nicht rechtfertigen, denn weil das unmittelbare
Ausschlachten fremder Vorleistung immer billiger sei als das Nachschaffen unter
Einsatz eigener Mühe und Kosten, käme andernfalls ein wettbewerbsrechtlicher
Schutz gegen unmittelbare Übernahme fremder Leistungen überhaupt nicht in
Betracht.
III.
Weder die der Hauptbegründung des angefochtenen Urteils zugrunde liegende noch
die gegensätzliche Auffassung der Revision können in ihrer Allgemeinheit
gebilligt werden. Bei dem festgestellten Sachverhalt, der als solcher von der
Revision nicht angegriffen ist, wird das Ergebnis des angefochtenen Urteils
jedoch durch die vom BerG angesteIlten Hilfserwägungen getragen.
Ein
ausnahmslos geltender Rechtssatz des Inhalts, daß jede unmittelbare Ausnutzung
eines fremden Arbeitsergebnisses dann wettbewerbswidrig sei, wenn sie ohne
eigene nachschaffende Leistung geschehe, ist in der Rechtsprechung nicht
aufgestellt worden, könnte auch nicht anerkannt werden.
Bei
Anwendung des § 1 UWG kommt es vielmehr auch in diesen Fällen auf die Umstände
des Falles an, und die Tatsache, daß der Nachbildende eine eigene Leistung
erspart, stellt für sich allein noch kein die Unlauterkeit der Leistungsübernahme
begründendes Merkmal dar. Entgegen der Meinung der Revision ist dem Urteil des
erkennenden Senats BGHZ 44, 288 - Apfelmadonna 5 -
nichts Gegenteiliges zu entnehmen, denn dort wurde der geltend gemachte
Wettbewerbsverstoß schon deshalb verneint, weil der Bekl. eine eigene Leistung
erbracht hatte. Daß es auf das Merkmal mangelnder eigener Leistung für sich
allein nicht ankommen kann, ergibt sich schon daraus, daß der Nachbildende auch
dann wettbewerbswidrig handeln kann, wenn er eine eigene, aber z. B. mit
geringen Kosten verbundene Leistung erbringt, während er umgekehrt
wettbewerbseigen handeln kann, wenn er ohne eigene Leistung nachbildet, aber die
wettbewerblichen Interessen des Erbringers der ersten Leistung nicht beeinträchtigt.
Im vorliegenden Fall macht überdies die Bekl. geltend, daß sie erhebliche
eigene Leistungen erbracht habe.
In
der Frage, unter welchen Gesichtspunkten die unmittelbare Leistungsübernahme
einen Wettbewerbsverstoß darstellt, folgt der erkennende Senat im wesentlichen
der Rechtsprechung des RG (RGZ 73, 294, 297 - Schallplatten; GRUR 1927, 132 -
Puppen), das in der letztgenannten Entscheidung als maßgebend herausgestellt
hat, ob die Aneignung des fremden Arbeitsergebnisses zum Schaden dessen
geschieht, dem "billigerweise die Früchte davon zukommen müßten".
Der
BGH hat in ähnlicher Weise bei der unmittelbaren Übernahme fremder
Musikdarbietungen darauf abgestellt, ob dadurch die Erwerbsaussichten der ausübenden
Künstler gemindert werden (GRUR 1960, 614 , 617 l. Sp.; 1960, 627, 630 r. Sp.),
und bei der Nachahmung industrieller Erzeugnisse darauf, ob die Art der
unmittelbaren Leistungsübernahme zu einem Wettbewerbsvorsprung des Übernehmenden
führt, dessen Anerkennung dem Erbringer der ersten Leistung jeden Anreiz zur
Initiative nehmen müßte (GRUR 1966, 617 , 620 Saxophon). Solche Fälle lassen
sich entgegen der Meinung des BerG auch bei der Vervielfältigung gemeinfreier
Werke der Literatur denken, wobei es nicht einmal entscheidend darauf ankommt,
ob sie auf fotomechanischem Wege vervielfältigt werden.
So
kann ein wettbewerbsrechtlicher Schutz z. B. dann geboten sein, wenn ein
gemeinfreies Werk mit sehr erheblichem, wenn auch nicht dem Urheberschutz zugänglichem
Aufwand textlich revidiert, entziffert oder in einer neuen Form angeordnet
worden ist und dann ein anderer sogleich dazu übergeht, es nachzudrucken, noch
ehe dem ersten Verleger eine angemessene Zeit zur Verfügung stand, um die nach
ordnungsgemäßer verlegerischer Planung zu erwartende Nachfrage zu befriedigen.
Entscheidend ist danach nicht, welches
Mittel zur Vervielfältigung angewandt wird, sondern ob die Anwendung dieses
MitteIs unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Falles dazu führt,
den Veranstalter des ersten Druckes in unbilliger Weise
um die Früchte seiner Arbeit zu bringen. Die Frage der Unbilligkeit ist hierbei maßgeblich danach
zu entscheiden, ob die vom Nachdrucker angewandte Methode des Nachdrucks nach Zeit und Umständen
geeignet ist, einen nach den Gepflogenheiten ordentlicher Verleger planenden
Erstverleger mit einem zusätzlichen Risiko zu belasten, das zu tragen ihm nicht
zugemutet werden kann.
[Also: Der „Veranstalter des ersten Druckes“ kann
noch nach Erlöschen des Urhebrerrechts fortlaufende eigene Rechte geltend
machen. Diese Rechte sind aber von Fall zu Fall und nach „Billigkeit“ zu
entscheiden.]
Die
Ansicht der Revision, der fotomechanische Nachdruck gemeinfreier Werke sei immer
wettbewerbswidrig, hätte demgegenüber zwar den Vorzug der Einfachheit; sie läßt
sich aber nicht mit dem Gesetz (§§ 1 UWG, 826 BGB) vereinbaren, das mit dem
Merkmal der Sittenwidrigkeit auf die Umstände des Einzelfalls verweist.
Es
kann deshalb weder mit dem BerG gesagt werden, der fotomechanische Nachdruck
verstoße nie gegen § 1 UWG, noch mit der Revision, dies sei stets der Fall.
Auch die vom BerG hervorgehobene Besonderheit, daß der fotomechanische
Nachdruck so erheblich billiger sei als der Nachdruck nach neuem Satz,
rechtfertigt nicht den Schluß, daß jener wettbewerbsrechtlich schon deshalb
allgemein statthaft sei, weil andernfalls ein zeitlich unbegrenzter Schutz
zugunsten des Erstdruckers gegen Nachdruck eintrete. Kann der Nachdrucker z. B.
nach der Art des Werkes mit einem größeren Absatz rechnen - wie etwa bei
Klassikerausgaben -, so brauchen die Mehr kosten des Nachdrucks nach neuem Satz
kalkulatorisch nicht so erheblich zu sein, daß andere Verleger schon aus diesem
G rund nicht mehr in Wettbewerb mit dem Erstdrucker treten könnten, falls
diesem der fotomechanische Nachdruck vorbehalten bliebe. Je nach der Art des
Werkes und den Erwartungen der Käuferkreise kann ferner ins Gewicht fallen, ob
der Nachdruck nach neuem Satz dem fotomechanischen Nachdruck an Qualität überlegen
ist. Die vom BerG in der Hauptbegründung als entscheidend herausgestellte Erwägung
trifft daher nur für einen Teil der in Betracht kommenden Fälle des
fotomechanischen Nachdrucks und allerdings für den hier gegebenen Fall zu, wo
es sich um ein wissenschaftliches Spezialwerk mit sehr geringem
Interessentenkreis handelt.
2.
Unter den Umständen, die bei der rechtlichen Würdigung im Rahmen des § 1 UWG
oder des § 826 BGB zu berücksichtigen sind, hat das BerG in seinen Hilfserwägungen
zutreffend den Zeitfaktor und die "Aktualität" des konkreten
Wettbewerbs herangezogen. Es ist rechtlich von erheblicher Bedeutung, ob ein
gemeinfreies Werk vom Erstverleger soeben erst auf den Markt gebracht worden ist
und dann sogleich fotomechanisch - oder auf andere Weise - nachgedruckt wird
oder ob das Erscheinen des Erstdrucks schon Jahrzehnte zurückliegt, vor allem
aber, ob der Erstdrucker noch auf dem Markt ist (vgl. Hillig-Greuner,
Gutachten Bd. I Nr. 321). Die Bedeutung des Zeitfaktors ergibt sich aus der
Regelung, die im neuen Urheberrechtsgesetz für Fälle des Schutzes solcher
Leistungen getroffen worden ist, die normalerweise sogar erheblich höher als
die Veranstaltung eines Erstdrucks stehen. Danach ist der Leistungsschutz für
die ausübenden Künstler, für die Hersteller von Ton- und Bildträgern und für
die Herausgeber urheberrechtlich nicht geschützter Werke, die das Ergebnis
wissenschaftlicher sichtender Tätigkeit sind, zeitlich wesentlich kürzer als
das Urheberrecht begrenzt (§§ 82 , 85 , 70 ). Nach § 54 Abs. 1 Nr. 4 b des
Urheberrechtsgesetzes darf der Berechtigte einem Dritten die Einwilligung zur
Vervielfältigung eines geschützten Werkes zu dessen eigenem Gebrauch nur noch
aus wichtigem Grund verweigern, wenn das Werk länger als drei Jahre vergriffen
ist. Auch das Rahmenabkommen zwischen dem Börsenverein des deutschen
Buchhandels und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (GRUR 1959, 20 ) sieht
für die fotomechanische Vervielfältigung von Zeitschriftenveröffentlichungen
eine Vergütung nur für die in den letzten drei Jahren erschienenen Veröffentlichungen
vor- Diese RegeIungen betreffen zwar nur den absoluten Leistungsschutz und nicht
den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Schutz von Leistungen; sie zeigen aber
doch, daß auch bei dem wettbewerbsrechtlichen Schutz von nicht oder nicht mehr
geschützten Leistungen mitzuberücksichtigen ist, welcher Zeitraum dem
Leistenden zu Gebote gestanden hat, um die Früchte seiner Arbeit zu ziehen.
Der
Zeitfaktor ist zwar nach dem bereits Ausgeführten - wie auch das BerG nicht
verkannt hat - für sich allein nicht entscheidend, und es lassen sich
insbesondere keine festen Zeitmaßstäbe setzen. Mit Recht hat das BerG
entscheidend auf die Aktualität des Wettbewerbs hinsichtlich des in Frage
stehenden Werkes abgestellt. Im Streitfall ist insoweit allerdings von
Bedeutung, daß es sich um ein Werk handelt, das wegen seines
spezialwissenschaftlichen Gegenstands nur einen sehr begrenzten Leserkreis
anspricht und bei dessen verlegerischer Planung wohl auch von der Erwartung ausgegangen werden konnte, daß die Nachfrage sich auf einige Jahrzehnte
erstrecken werde. Derartige Werke können dem Verleger im allgemeinen erst in längeren
Zeiträumen die ihm "billigerweise zukommenden Früchte" bringen. Auch
unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts muß dem Ergebnis des
angefochtenen Urteils jedoch beigetreten werden. Denn nach der nicht
angegriffenen Feststellung des BerG war der Erstdruck bei Erscheinen des
Nachdrucks längst - etwa sei 12 Jahren - v e r g r i f f e n. Dieser Umstand
ist für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des fotomechanischen Nachdrucks
von erheblicher Bedeutung (vgl. Ulmer, Urheber- und
Verlagsrecht, 2. Aufl., S. 29). Berücksichtigt man dazu den Umstand, daß
angesichts des nach der Art des Werkes zu erwartenden kleinen Käuferkreises
allein der fotomechanische Nachdruck wirtschaftlich tragbar war, sowie das nicht
zu leugnende allgemeine wissenschaftliche Interesse an dem Erscheinen des
Neudrucks, so kann der Standpunkt des BerG, die Bekl. habe nicht gegen die
Anschauungen des redlichen Verkehrs verstoßen, nicht als rechtsfehlerhaft
bezeichnet werden.
3. Für die Annahme, die Bekl. bringe
die Kl. in unbilliger Weise um die Früchte ihrer Arbeit, genügt es auch nicht,
daß die Kl. - wie sie behauptet, aber nach der Auffassung des BerG nicht einmal
genügend dargelegt hat - immer noch die Absicht hatte, das Werk neu
herauszubringen. Eine derartige Absicht wäre rechtlich
unerheblich angesichts des Umstands, daß der Erstdruck seit langer Zeit
vergriffen war.
4.
Entgegen der Ansicht der Revision liegt ein die Wettbewerbswidrigkeit begründender
besonderer Umstand im Streitfall auch nicht darin, daß das nachgedruckte Werk
Teil eines Gesamt werks ist. Das BerG hat insoweit als entscheidend angesehen, daß das
letzte Teilstück des Gesamtwerks schon etwa 25 Jahre vor dem beanstandeten
Nachdruck erschienen sei und daß bis heute keiner der noch fehlenden Teile
konkret von einem Romanisten bearbeitet werde. Bei dieser Sachlage könne es nicht als sittenwidrig
angesehen werden, wenn ein anderer jedenfalls teilweise die Lücke schließe,
die durch die einer Neuherausgabe entgegenstehenden Schwierigkeiten
hervorgerufen sei.
Auch
diese Würdigung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Selbst wenn die Verzögerung
der Neubearbeitung eines oder mehrerer Werkteile auf Schwierigkeiten stößt und
der Erstdrucker sich aus diesem Grund zunächst noch nicht zu einem unveränderten
Nachdruck des Erstdrucks entschließen kann, zwingt das die Mitbewerber aus
wettbewerbsrechtlichen Gründen noch nicht, einen fotomechanischen Nachdruck auf
unbestimmte Zeit hin zu unterlassen.
Es
kann dahingestellt bleiben, wie es zu beurteilen wäre, wenn ein Teilband aus
einem geschlosseneren Gesamtwerk, wie etwa einem Gesetzeskommentar oder einem Wörterbuch,
nachgedruckt würde; denn nach dem festgestellten Sachverhalt ist das
nachgedruckte Werk von Gröber nicht in so enger Weise mit den übrigen Teilen
des Gesamtwerks verklammert; es stellt vielmehr eine durchaus selbständige
Literaturübersicht dar. Es ist auch nicht vorgetragen worden, daß das
Gesamtwerk üblicherweise nur geschlossen bezogen werde.
Wenn
das BerG im Streitfall die seit dem Vergriffensein des Erstdrucks der Übersicht
von Gröber verstrichene Zeit als ausreichend angesehen hat, so kann darin eine
Verletzung der §§ 1 UWG, 826 BGB durch Nichtanwendung nicht erblickt werden.
Daß etwa der fotomechanische Nachdruck des Teilwerks die Absatzaussichten bezüglich
der übrigen Teile des Gesamtwerks beeinträchtige, macht auch die Revision
nicht geltend; es kann deshalb ferner auf sich beruhen, wie der Fall zu
beurteilen wäre, wenn insbesondere der Absatz von noch urheberrechtlich geschützten
Teilen des Gesamtwerks beeinträchtigt würde.
IV.
Die Revision macht für den Fall, daß der Kl. ein Anspruch auf Unterlassung und
Vernichtung nicht zuzubilligen sei, hilfsweise geltend, daß mindestens ein
Entschädigungsanspruch gewährt werden müsse.
Dem
Erstverleger werde hier aus Gründen des Allgemeininteresses zugemutet, den
wettbewerblichen "Eingriff" hinzunehmen, der in der unmittelbaren Übernahme
seiner Druckerzeugnisse liege. Es müsse der Rechtsgedanke Anwendung finden, daß
niemand sich kostenlos und unter Zuhilfenahme technischer Errungenschaften eine
fremde Leistung zunutze machen dürfe, wenn dies üblicherweise nur gegen
Zahlung einer angemessenen Vergütung gestattet werde. Dafür spreche auch die
Anfrage der Bekl. bei der Kl., ob sie den Nachdchruck genehmige.
Dem
kann nicht gefolgt werden. Liegt kein Eingriff in ein absolutes Recht vor und
fehlt es weiter, wie dargelegt, nicht nur aus Gründen des Allgemeininteresses
an einem Wettbewerbsverstoß der Bekl. und an einer unerlaubten Handlung
sonstiger Art, so besteht keine Rechtsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch.
Im übrigen stellt es ein unzulässiges neues Vorbringen dar, die Zahlung einer
Lizenzgebühr sei in Fällen der hier gegebenen Art üblich.
Das Urteil
stellt eine wohlabgewogene Lösung der Interessen- wie auch der Rechtskonflikte
dar.
Auf der einen
Seite steht der Erstverleger, der das Erscheinen eines wissenschaftlichen Werkes
durch seine Arbeit und die notwendigen finanziellen Leistungen bei Übernahme
des vollen Risikos ermöglicht hat, auf der anderen Seite das Interesse der
Allgemeinheit an einem Neudruck, das dadurch zum Ausdruck gelangt, daß ein
"Reprinter" einen solchen veranstalten möchte, was er sicher nicht
plant, ohne die Absatzmöglichkeiten geprüft zu haben. Dieses Interesse kann
naturgemäß nur entstehen, wenn die Exemplare vergriffen sind. Erste
Voraussetzung für den Neudruck ist also das Vergriffensein.
Vergriffen
bedeutet bei einem frei gewordenen Werk, daß die Nachfrage nicht mehr
befriedigt werden kann, weil der Verleger keine Werkexemplare mehr auf Lager hat
und solche auch nicht mehr im Buchhandel erhältlich sind. Zur Befriedigung der
Nachfrage ist in erster Linie der Erstverleger berufen. Der Bundesgerichtshof
billigt ihm aber dieses Recht dann nicht mehr zu, wenn das Werk so lange
vergriffen ist, daß die nach den Gepflogenheiten ordentlicher Verleger bei der
Kalkulation eingeplante Absatzzeit verstrichen sein dürfte. Gegen diese Überlegung
ist nichts einzuwenden.
Der
rechtspolitische Konflikt besteht zwischen der Begrenzung des Rechts des
Urhebers am Werk und der Verewigung des Rechts an der Leistung des Verlegers,
wenn man annimmt, daß die unmittelbare Leistungsübernahme schlechthin einen
Wettbewerbsverstoß darstellt. Zu dieser Annahme berechtigen die bekannten
Urteile zur unveränderten Übernahme von künstlerischen Darbietungen mittels
Tonbandoder Filmaufnahmen, durch die der BGH die damals noch nicht normierten
Leistungsschutzrechte aus der Taufe gehoben hatte. Die Rechtsgrundlage für das
Leistungsschutzrecht sind § 826 BGB und § 1 UWG. Bei der
Anwendung dieser Bestimmungen war die Feststellung einer Schädigung
erforderlich, die in der Minderung der Erwerbsaussichten derjenigen erblickt
wurde, deren Leistungen übernommen worden waren. Es ist verständlich, daß der
BGH diesen Gesichtspunkt auch hier für ausschlaggebend hält, obwohl die Fälle
nicht unbedingt gleich liegen. Da er auch hier wieder zu einem rechtsschöpferischen
Entscheid aufgerufen ist, läßt er auch rechtspolitische Erwägungen eine Rolle
spielen und vermeidet so, daß dem Verleger ipso jure ein längerer Schutz wie
dem Urheber zuteil wird.
Es fragt sich also nur, in welchem
Zeitpunkt diese Möglichkeit der Erwerbsminderung wegfällt oder, um mit anderen
Worten des Urteils zu sprechen, für welchen Zeitpunkt festgestellt werden kann,
daß dem Erstverleger die Früchte seiner Arbeit billigerweise nicht mehr
zukommen müßten.
Dieser Zeitpunkt läßt sich naturgemäß nicht unbedingt festsetzen. Als
Anhaltspunkt sieht aber der BGH mit Recht die zeitlichen Grenzen an, die für
die Leistungsschutzrechte im Urheberrechtsgesetz festgelegt sind, und weist
dabei insbesondere auf das Recht an wissenschaftlichen Ausgaben ungeschützter
Werke hin, das nach zehn Jahren erlischt. Die Frist, von der die Zulässigkeit
der Vervielfältigung vergriffener Werke zum eigenen Gebrauch abhängt, kann m.
E. hier nicht herangezogen werden, da dem Berechtigten das absolute Recht
verbleibt, die Genehmigung zum Nachdruck jedoch nur aus wichtigem Grund von ihm
verweigert werden kann. Das Rahmenabkommen über die Vervielfältigung zum
innerbetrieblichen Gebrauch zwischen dem Börsenverein und dem Bundesverband der
Deutschen Industrie bezieht sich nicht auf Bücher, sondern auf in Zeitschriften
erschienene Aufsätze. Wenn deren Vervielfältigung in einigen wenigen
Exemplaren schon nach drei Jahren für tragbar gehalten wurde, besagt das noch
nichts für die hier zu entscheidende Frage, wann dem Verleger eines
wissenschaftlichen Werkes eine Massenvervielfältigung zuzumuten ist.
Die
Anlehnung an die Zehnjahresfrist des § 70 UrhG dürfte die Regel sein[Fassung des UrhG von
1965, Heute: 25 Jahre]. Es mag aber auch Fälle geben, in denen von der Dauer des Schutzes für
die Darbietungen der ausübenden Künstler auszugehen ist, die 25 Jahre seit
Erscheinen des Tonträgers beträgt.
Der Erstverleger muß sich also in
Zukunft darauf einstellen, daß das in seinem Verlag erschienene freie oder frei
gewordene Werk mit Hilfe eines von ihm hergestellten Werkexemplars von einem
anderen neu gedruckt werden kann, wenn die Werkexemplare seit einem Zeitraum von
etwa zehn Jahren nicht mehr auf dem Markt sind. Möglicherweise kann diese Frist
auch darüber hinausgehen, nicht aber länger sein als 25 Jahre.
[GR
2670]
Kleine
*Zum Abdruck in der amtlichen Sammlung
bestimmt
1GRUR 1959, 240
2GRUR 1960, 614 Figaros Hochzeit
3GRUR 1962, 470
4GRUR 1963, 575 Vortragsabend
5GRUR 1966, 503
(1) Ausgaben urheberrechtlich nicht geschützter
Werke oder Texte werden in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Teils 1
geschützt, wenn sie das Ergebnis wissenschaftlich sichtender Tätigkeit
darstellen und sich wesentlich von den bisher bekannten Ausgaben der Werke oder
Texte unterscheiden.
(2) Das Recht steht dem Verfasser der Ausgabe
zu.
(3) Das Recht erlischt fünfundzwanzig Jahre
nach dem Erscheinen der Ausgabe, jedoch bereits fünfundzwanzig Jahre nach der
Herstellung, wenn die Ausgabe innerhalb dieser Frist nicht erschienen ist. Die
Frist ist nach § 69 zu berechnen.